Mittwoch, 30. Oktober 2013

Alle Tassen im Schrank: FV Engers

Er sei der „Schrecken der Oberliga Südwest“ behauptet der FV Engers zwar auf seinem Kaffeebecher, doch wer die Grün-Weißen heute in der Tabelle finden will, muss eine Klasse tiefer schauen und wird erst in der Rheinlandliga fündig. 

Zwischen 2002 und 2008 war die Elf vom Stadion am Wasserturm aber in der Tat der „Schrecken der Oberliga“ und erfreute die Fans im Südwesten zudem mit seinem traditionsreichen Namen. Von 1949 bis 1953 sowie 1955/56 hatte der FVE sogar in der damals erstklassigen Oberliga Südwest gespielt und 1950/51 einen unvergessenen 1:0-Sieg bei der Walter-Elf des 1. FC Kaiserslautern gefeiert. Es folgte der Absturz bis in die A-Klasse, ehe man nach 46 Jahren 2002 endlich ins Südwest-Oberhaus zurückkehren konnte und in die nunmehr viertklassige Oberliga Südwest aufstieg. 2007/08 sollte es u.a. mit Ex-Profi Markus Dworrak eigentlich in die Regionalliga gehen, doch als sich der Geldgeber nach neun Spielen überraschend zurückzog, landete der FVE stattdessen in der sechstklassigen Rheinlandliga, in der man nach zwischenzeitlichem Absturz in die Bezirksliga auch heute noch spielt.

Engers ist einer der „großen“ Fußballnamen im „kleinen“ Südwesten, den ein gewisses Flair umgibt, was nicht zuletzt dem Stadion am Wasserturm zu verdanken ist, auf dem man seit gefühlten Ewigkeiten kickt. Zudem sind die Grün-Weißen einer der wenigen erfolgreichen Südwest-Klubs aus dem rechtsrheinischen Raum. Mir begegnete der FV Engers schon früh bei meinen Forschungen in Sachen Fußballvereine und deren Geschichte. Den abgebildeten Becher erhielt ich vor einigen Jahren vom Verein, nachdem ich dort bezüglich einer Chronik zum 100ten Jubiläum nachgefragt hatte und man mir als "bekanntem Buchautor" (O-Ton) mit dem Becher eine gelungene Zusatzfreude bereitete!



Dienstag, 29. Oktober 2013

Alle Tassen im Schrank? Stahl Brandenburg

Mein heutiger Tassenpost ist zunächst eine Respektbekundung an jemanden, der gerade eine weitere wilde Groundhopping-Tour beendet hat, und dem dieser Eintrag vermutlich gemischte Gefühle bereiten wird.

Denn Stahl Brandenburg, ein Klassiker aus der DDR-Oberliga, hat seinen Fans in den letzten 20 Jahren einiges abverlangt. Jörg Pochert, über dessen Buch Ayia Napa! ich kürzlich hier berichtete, und dem dieser Post gewidmet sein soll, wird da sicher einiges zu erzählen können.

Ich erinnere mich noch gut an meinen ersten Besuch im Stadion am Quenz irgendwann Mitte der 1990er, der ein wahrlich hautnaher Ausflug in die DDR-Vergangenheit war. Die imposante Anzeigetafel, die ostblocktypische Architektur (inkl. Einbettung in die Umgebung), der wuchtige "Stahl Feuer!"-Klassiker der Fans - das war ein Stadion mit Charakter und "Charme", das war ein Klub mit Authentizität!

Sportlich wie wirtschaftlich gelang es bekanntlich nicht, das Erbe der BSG Stahl aus DDR-Zeiten (1984 in die Oberliga aufgestiegen, 1987 für den UEFA-Cup qualifiziert, Zuschauerhochburg in den letzten DDR-Tagen), allzu weit über die Nachwendezeit zu retten. 1991/92 reichte es noch für ein Jahr in der gesamtdeutschen 2. Bundesliga, doch schon da gab es nach einem gutem Start voller Optimismus in der Rückrunde einen katastrophalen Einbruch. 1996 fand sich Stahl bereits in der Verbandsliga wieder, zog Lokalrivale BSC Süd 05 an den Blau-Weißen vorbei.

Der übliche Mix aus Mißwirtschaft, Streitigkeiten, Eitelkeiten und einem übersichtlichen Sponsorenpool führte 2006 schließlich zum Super-Gau, dem Abstieg in die Landesliga, wo plötzlich Gegner wie die Prignitzer Kuckuck Kickers am Quenz aufliefen. Zuvor hatte die streitbare und treue Stahl-Fangemeinde den quasi schon besiegelten Zusammenschluss mit dem BSC Süd 05 verhindert und damit die Identität ihres Vereins gewahrt.

Seit 2009 ist Stahl nun immerhin wieder in der Brandenburg-Liga am Ball, und auch wenn die Zeit ihre Spuren hinterlassen hat, heißt es noch immer "Stahl Feuer!"






Montag, 28. Oktober 2013

Alle Tassen im Schrank? Dynamo Dresden

Die Nachwendezeit war eine wilde Epoche, was auch diese Tasse von Dynamo Dresden aus Mitte der 1990er Jahre belegt. Schön geht sicherlich anders, und es handelt sich noch nicht einmal um ein offizielles Produkt, denn das Klubwappen fehlt! Ich weiß nicht mehr, wann genau ich sie erwarb, aber es gab damals nichts anderes, und so wurde sie zu seinem Zeitzeugen in meinem ever-growing Tassenregal.

Inzwischen gibt es in Dresden eine deutlich schönere Kollektion verschiedenster Kaffeepötte, und nicht nur deshalb wäre ich heute gerne in der Elbemetropole, denn das Derby gegen den FC Energie Cottbus verspricht reizvoll zu werden. Vermutlich war es das Schwarzgelb, das mich anfangs mit den Dynamos verband, denn ein schwarzgelb tragender Verein konnte mir als 05er nur sympathisch sein.

Das zwar tragische, irgendwie aber auch liebevolle Chaos der drei Bundesligajahre mit diesem eigentümlichen Rudolf-Harbig-Stadion sind mir noch gut in Erinnerung, und auch später, als Dynamo längst tief abgestürzt war, spürte ich immer eine gewisse Sympathie für den Klub. Es ist die unbändige Leidenschaft der Dresdner, die ich bewunderte und bewundere. Zugleich erstaunte es mich als Fußballhistoriker, dass selbst in schwierigen Zeiten nicht der neugeborene DSC die Führungsrolle übernahm, sondern Dynamo Nummer eins blieb.

Eigentlich logisch, denn die großen Jahre des DSC waren ja lange vorbei, und die Tradition der Mohnroten längst überlagert von all' den Erfolgen der Dynamos zu DDR-Zeiten. Ach, DDR-Zeiten … da fällt mir natürlich auch noch ein Spiel ein, das vermutlich jedem aus meiner Generation – egal ob Ost oder West – unvergessen ist: Uerdingen, 1986...

Heute bin ich zwar nicht in Dresden, aber das neue Stadion steht schon lange auf meiner Wunschliste und ich werde es sicher im Laufe der Saison besuchen. Vermutlich wird es dann auch endlich eine neue Dynamo-Tasse geben!
 
Foto: Die Nachwendezeit war eine wilde Epoche, was auch diese Tasse von Dynamo Dresden aus Mitte der 1990er Jahre belegt. Schön geht sicherlich anders, und es handelt sich noch nicht einmal um ein offizielles Produkt, denn das Klubwappen fehlt! Ich weiß nicht mehr, wann genau ich sie erwarb, aber es gab damals nichts anderes, und so wurde sie zu seinem Zeitzeugen in meinem ever-growing Tassenregal.

Inzwischen gibt es in Dresden eine deutlich schönere Kollektion verschiedenster Kaffeepötte, und nicht nur deshalb wäre ich heute gerne in der Elbemetropole, denn das Derby gegen den FC Energie Cottbus verspricht reizvoll zu werden. Vermutlich war es das Schwarzgelb, das mich anfangs mit den Dynamos verband, denn ein schwarzgelb tragender Verein konnte mir als 05er nur sympathisch sein.

Das zwar tragische, irgendwie aber auch liebevolle Chaos der drei Bundesligajahre mit diesem eigentümlichen Rudolf-Harbig-Stadion sind mir noch gut in Erinnerung, und auch später, als Dynamo längst tief abgestürzt war, spürte ich immer eine gewisse Sympathie für den Klub. Es ist die unbändige Leidenschaft der Dresdner, die ich bewunderte und bewundere. Zugleich erstaunte es mich als Fußballhistoriker, dass selbst in schwierigen Zeiten nicht der neugeborene DSC die Führungsrolle übernahm, sondern Dynamo Nummer eins blieb.

Eigentlich logisch, denn die großen Jahre des DSC waren ja lange vorbei, und die Tradition der Mohnroten längst überlagert von all' den Erfolgen der Dynamos zu DDR-Zeiten. Ach, DDR-Zeiten … da fällt mir natürlich auch noch ein Spiel ein, das vermutlich jedem aus meiner Generation – egal ob Ost oder West – unvergessen ist: Uerdingen, 1986...

Heute bin ich zwar nicht in Dresden, aber das neue Stadion steht schon lange auf meiner Wunschliste und ich werde es sicher im Laufe der Saison besuchen. Vermutlich wird es dann auch endlich eine neue Dynamo-Tasse geben!

Samstag, 26. Oktober 2013

Rezension: Ronald Reng "Spieltage"


Ronald Reng: Spieltage. Die andere Geschichte der Bundesliga

Über Ronald Rengs „Spieltage. Die andere Geschichte der Bundesliga“ muss man eigentlich keine Lobeshymnen mehr verfassen. Das Buch ist zum Fußballbuch des Jahres 2013 gewählt worden, und nie zuvor herrschte wohl so eine Einigkeit unter Fußballfans wie Schriftgelehrten, dass es die richtige Wahl war. Jedem, der sich für die „echte“ Geschichte der Bundesliga interessiert und nicht nur Zahlen und Fakten fressen will, kann ich daher schon jetzt eine eindringliche Kaufempfehlung aussprechen.

Wer aber noch Gründe braucht, darf nun natürlich auch gerne meinen Schwärmereien folgen. Reng hat mit dem Buch eine Gratwanderung unternommen, die ebenso gewagt wie bemerkenswert ist. Er schildert 50 Jahre Bundesliga entlang der Biografie von Heinz Höher, einst als Spieler in Duisburg-Meiderich selbst am Bundesligaball, dann als Trainer in Bochum und Nürnberg trendbildend. Das klingt auf den ersten Blick schräg und unvorstellbar, doch Reng gelingt es mit großem Feingefühl und zugleich straffer Hand, Höhers persönliche Biografie mit den einschneidenden Ereignissen in 50 Jahre Bundesliga zu verbinden und so quasi eine biografisch gefärbte Bundesligahistorie zu schreiben, die einen schon auf der ersten Seite packt und erst nach der letzten Seite wieder loslässt.

Das liegt zum einen an der herausragenden schriftstellerischen Leistung des Autors, zum anderen aber auch an Heinz Höher, mit dem Reng ein exzellentes Objekt für sein mutiges Projekt gefunden hat. Wobei „gefunden“ eigentlich falsch ist – denn tatsächlich fand Höher ihn. Er rief den in Barcelona lebenden Autor des Robert-Enke-Buches „Ein allzu kurzes Leben“ eines Tages an, stellte sich kurz vor und reiste wenig später kurzentschlossen in die katalonische Metropole, wo das gemeinsame Projekt rasch konkrete Formen annahm.

Höher ist nicht nur ein Kind der Bundesliga, sondern liefert zugleich eine typische Biografie jener Epoche. 1938 geboren und somit unter dem Hakenkreuz bzw. der verschämten Nachkriegszeit sozialisiert, wird er während des Wirtschaftswunders in Leverkusen zum lokalen Fußballhelden, dem die (kleine) Welt des beginnenden Wohlstandes offen steht. Aber Höher entspricht auch dem typischen Männerbild jener von Krieg und straffer Erziehung geprägten Generation, zu der auch das Schweigen gehört. Nach außen cool und souverän auftretend, ist Höher in sich verschlossen und zerrissen; fast labil. Schon früh taucht die Formulierung „Zwei Bier, ein Klarer“ in Rengs Beschreibung auf, die sich durch das gesamte Buch zieht, wobei sie sich später allerdings in „vier Bier und zwei Klare“ verwandelt. Wie in vielen Fußballer- und Trainerbiografien bilden Alkohol und Fußball auch in Höhers Leben eine Einheit.

Mit feinem Gespür und viel Respekt arbeitet Reng die Zerrissenheit Höhers heraus, liefert Informationen, ohne aufdringlich zu sein, vermittelt Gefühl, ohne in Sentimentalitäten abzugleiten, bleibt auch bei schwierigen Themen wie der sich abzeichnenden Alkoholkrankheit mit dem Höhepunkt des Zusammenbruches beim ersten Training in Lübeck nüchtern-sachlich und zugleich emphatisch. Das zeichnet ein unaufgeregtes und zugleich „spürbares“ Gesamtbild Höhers, der sich im Übrigen über seine Spieler- und Trainerkarriere hinaus als zerrissene und labile Persönlichkeit entpuppt, zwischendurch ein Kinderbuch schreibt und später als Talentförderer in Fürth weiter an der Bundesligageschichte mitstrickt.

Ich will nicht zu viel verraten, denn dies ist kein Sachbuch, das man sich „erarbeitet“, dies ist ein Sachbuchroman, den man sich „erfühlen“ sollte. Verraten will ich aber, dass keines der vielen Bücher zum Bundesligajubiläum mir auch nur annähernd so viel Neues über die Geschichte der Bundesliga erzählt hat und mir „aha“-Erlebnisse lieferte, wie Ronald Rengs „Spieltage“. Es ist diese besondere Perspektive, die Reng durch die Person Höher und dessen Insiderwissen auf die Ligageschichte werfen kann. Dadurch wird auch der enorme Wandel in 50 Jahren Bundesliga aus Sicht der Aktiven anschaulich nachgezeichnet. In den 1970ern beispielsweise wuschen die Spieler (bzw. deren Frauen) ihre Trikots noch selber, erwarteten die Lokaljournalisten, dass sich Trainer nach dem Spiel bei ihnen meldeten. Und dass die enormen Summen nach dem Aufkommen des Privatfernsehens im Nachwuchsbereich seit der Millenniumswende alles auf den Kopf stellte, schildert Reng anschaulich an Höhers Entdeckung Juri Judt. 

Prädikat: absolut lesenswert. Kaufen und verschlingen!

Ronald Reng
Spieltage: Die andere Geschichte der Bundesliga
Piper Verlag, ISBN 978-3-492-05592-5
480 Seiten, 19,99 Euro.

Rezension: Ayia Napa! Fußballreisen nach Südeuropa


Jörg Pochert: Ayia Napa! Fußballreisen nach Südeuropa

Jörg Pochert ist einer von diesen verrückten Typen, über die wir alle den Kopf schütteln und auf die wir alle gleichzeitig unglaublich neidisch sind. Jörg Pochert ist Groundhopper und verbringt jede Gelegenheit damit, irgendwo auf der Welt Fußballstadien zu besuchen und Fußballkultur zu goutieren.

Das klingt aufregend, ist in der Realität aber häufig auch anstrengend, denn in der Welt der Groundhopper gibt es selten gemütliche Linienflüge und an Flughäfen wartende freundliche Taxifahrer, die einen in schicke Nobelherbergen bringen. Statt dessen muss man als Groundhopper akribisch planen, schlägt sich vor Ort mit gewieften Taxifahrern herum, die einen übers Ohr hauen wollen und blendet abends in der rudimentären Unterkunft die Bilder von Schaben und anderem Ungeziefer, das sich in derartigen Herbergen so aufhält, aus.

Lohn sind tolle Erlebnisse und tolle Begegnungen, auf die unsereins nun wieder neidisch ist und Lust entwickelt, selber in den Flieger zu steigen. Insofern ist es angemessen, vor dem Genuss von „Ayia Napa!“ zu warnen, denn es weckt das Reisefieber, und das nicht zu knapp. Das liegt vor allem daran, dass Pochert keiner dieser etwas fanatischen Groundhopper ist, die ein Stadion nach dem anderen abhaken, alles über die Anzahl der Stehtraversen und den Geschmack des Bieres erzählen können, vom Drumherum aber nichts mitbekommen. Bei Pochert geht es nicht vordringlich um Länderpunkte, Saufgelage und dumme Sprüche über die Attraktivität der weiblichen Stadionbesucher, sondern um Zusammenhänge, Einbettungen und zwischenmenschliche Dimensionen. Seine Fähigkeit zu Selbstironie verleiht Pocherts Buch zudem eine Lockerheit, die es höchst lesenswert macht und durch die man häufig ins Schmunzeln gerät.

Wenngleich Pochert fast überall auf der Welt unterwegs ist, beschränkt er sich in seinem Buch auf vier Touren, die er zwischen September 2012 und März 2013 in Südeuropa unternommen hat. Sie führten ihn in die Türkei, nach Portugal und nach Zypern, wo er neben packenden Duellen wie APOEL Nikosia gegen AEL Limassol oder Galatasaray gegen Besiktas auch Spiele unterklassiger Ligen sah, die aber häufig ihren ganz eigenen Reiz haben. Spannend auch seine Schilderung vom Heimspiel Fenerbahces, bei dem er zwischen fast ausschließlich weiblichen Stadionbesuchern saß – nach Ausschreitungen waren die einheimischen Männer vom Stadionbesuch ausgeschlossen.

Das Highlight aber ist sein Besuch des Derbys zwischen Esteghal und Persepolis Teheran, zu dem er in einem Kurzausflug von der Türkei aus in den Iran jettet. Schon frühmorgens sind die Tribünen prall gefüllt, und man fühlt mit Pochert, wenn er die langsam anschwellende Stimmung beschreibt. Spätestens zum Spielbeginn ist er dann auch wieder da: der Neid, selbst an Pocherts Stelle im Stadion sitzen zu wollen. Doch dann müsste man eben auch all die Schwierigkeiten und Herausforderungen meistern, mit denen sich Pochert vor und nach dem Spiel so herumzuschlagen hat – und da wiederum fühlt man sich dann ganz wohl, dass man sie gemütlich „erlesen“ kann und schmunzelt, wenn er von seinen schwierigen Tarif-Verhandlungen mit einem vermeintlichen Taxifahrer berichtet.

Wer neugierig ist auf Fußball, Fußballkultur und nationale Ausprägungen von Fußballkultur, wird mit diesem Buch bestens bedient. Aber auch wer schlicht Lust hat, seinen Jahresurlaub irgendwo an der anatolischen Küste oder sonst wo mal mit einem Stadionbesuch aufzupeppen, kann beruhigt zu „Ayia Napa!" greifen, denn neben guter Unterhaltung liefert es wertvolle Tipps und macht garantiert neugierig. Ich habe Euch gewarnt!

Jörg Pochert
Ayia Napa! Fußballreisen nach Südeuropa
ISBN: 978-3-00-042883-8
Verlag: Nofb-shop.de
11,90 Euro, zu beziehen über www.nofb-shop.de (geht auch über amazon)

"Wenn Spieltag ist" ist da!

Gestern traf es im Verlag ein, heute durfte ich es erstmals in den Händen halten - mein neues Werk "Wenn Spieltag ist. Fußballfans in der Bundesliga". Die Wahl des T-Shirts ist übrigens kein Zufall - siehe meinen Beitrag über Göttingen 05 im Insolvenzticker weiter unten.

Das Buch wird nächste Woche in den Buchhandel ausgeliefert und sollte dann übrall erhältlich sein.

http://www.werkstatt-verlag.de/?q=node%2F567



Interview mit "Le Télégramme" (Guingamp)

Die französische Tageszeitung "Le Télégramme" hat kürzlich ein Interview mit mir gemacht, wie und warum ich Fan von En Avant Guingamp wurde. Heute ist der Artikel in Frankreich erschienen.

http://www.letelegramme.fr/sports/football/kop-allemand-amoureux-des-le-1er-match-26-10-2013-2282627.php?utm_source=rss_telegramme&utm_medium=rss&utm_campaign=rss&xtor=RSS-21

Alle Tassen im Schrank? Hessen Kassel

Hessen Kassel gegen FC Homburg lautet eine Partie am heutigen Nachmittag in der Regionalliga Südwest, und das ist eine Paarung, die wahrlich schon bessere Tage gesehen hat. Beide Klubs prägten in den 1980er Jahren über lange Zeit die 2. Bundesliga und stritten oftmals gemeinsam um den Aufstieg ins Oberhaus.

Während Homburg es tatsächlich schaffte, blieb Kassel die Bundesliga-Pforte bekanntlich verschlossen, wobei die Hessen sich zeitweise als tragische Größe der Liga entpuppten, die wiederholt im Saisonfinale den Lohn für eine komplette Saison verspielte.

Unvergessen 1984/85, als der KSV unter Rudi Kröner monatelang an der Tabellenspitze rangierte und schon mit anderthalb Beinen im Oberhaus stand, man beim 2:2 gegen Hannover 96 (nach 2:0-Führung) jedoch den ersten und beim 0:2 in Nürnberg auch den zweiten und letzten Matchball vergab. Zwei Jahre später ging es statt nach oben nach unten, und 1998 musste man nach einem Konkurs ganz von unten beginnen.

Ich war damals beim allerletzten Spiel des FC Hessen mit einer kleinen Delegation von Göttingen 05 zum „Abschiedsbesuch“ beim 2:2 gegen die Amateure des KSC im Auestadion, wo ich seit Ende der 1970er Jahre regelmäßig teilweise packende und mitreißende Spiele gegen Teams wie Darmstadt 98, Kickers Offenbach, Fortuna Köln und Schalke 04 gesehen hatte. Als 05er war ich dem KSV zwar ehrlich gesagt nie wohlgesonnen, denn die guten KSV-Jahre korrespondierten mit schlechten 05-Zeiten, und viele Alt-05er fuhren damals regelmäßig ins Auestadion, der Faszination KSV konnte ich mich aber dennoch nicht entziehen. Dafür lebte (und liebte) Kassel den Fußball und vor allem den KSV einfach viel zu sehr!

Auch die Wiedergeburt und der Marsch zurück bis in die Regionalliga waren beeindruckend, und oft genug schaute ich neidisch über die Landesgrenze. Seit einigen Jahren scheint aber auch der KSV wieder in einer Endlosschleife zu stecken, bleibt die 3. Liga ein Wunschtraum. Zuletzt sah ich die Hessen in der Saison 2012/13 beim Sieg in Elversberg, mit dem der erste wichtige Schritt in Richtung Relegation gemacht wurde, wo sich dann aber die KSV aus Kiel durchsetzte.
 
Foto: Hessen Kassel gegen FC Homburg lautet eine Partie am heutigen Nachmittag in der Regionalliga Südwest, und das ist eine Paarung, die wahrlich schon bessere Tage gesehen hat. Beide Klubs prägten in den 1980er Jahren über lange Zeit die 2. Bundesliga und stritten oftmals gemeinsam um den Aufstieg ins Oberhaus.

Während Homburg es tatsächlich schaffte, blieb Kassel die Bundesliga-Pforte bekanntlich verschlossen, wobei die Hessen sich zeitweise als tragische Größe der Liga entpuppten, die wiederholt im Saisonfinale den Lohn für eine komplette Saison verspielte. 

Unvergessen 1984/85, als der KSV unter Rudi Kröner monatelang an der Tabellenspitze rangierte und schon mit anderthalb Beinen im Oberhaus stand, man beim 2:2 gegen Hannover 96 (nach 2:0-Führung) jedoch den ersten und beim 0:2 in Nürnberg auch den zweiten und letzten Matchball vergab. Zwei Jahre später ging es statt nach oben nach unten, und 1998 musste man nach einem Konkurs ganz von unten beginnen.

Ich war damals beim allerletzten Spiel des FC Hessen mit einer kleinen Delegation von Göttingen 05 zum „Abschiedsbesuch“ beim 2:2 gegen die Amateure des KSC im Auestadion, wo ich seit Ende der 1970er Jahre regelmäßig teilweise packende und mitreißende Spiele gegen Teams wie Darmstadt 98, Kickers Offenbach, Fortuna Köln und Schalke 04 gesehen hatte. Als 05er war ich dem KSV zwar ehrlich gesagt nie wohlgesonnen, denn die guten KSV-Jahre korrespondierten mit schlechten 05-Zeiten, und viele Alt-05er fuhren damals regelmäßig ins Auestadion, der Faszination KSV konnte ich mich aber dennoch nicht entziehen. Dafür lebte (und liebte) Kassel den Fußball und vor allem den KSV einfach viel zu sehr!

Auch die Wiedergeburt und der Marsch zurück bis in die Regionalliga waren beeindruckend, und oft genug schaute ich neidisch über die Landesgrenze. Seit einigen Jahren scheint aber auch der KSV wieder in einer Endlosschleife zu stecken, bleibt die 3. Liga ein Wunschtraum. Zuletzt sah ich die Hessen in der Saison 2012/13 beim Sieg in Elversberg, mit dem der erste wichtige Schritt in Richtung Relegation gemacht wurde, wo sich dann aber die KSV aus Kiel durchsetzte.

Freitag, 25. Oktober 2013

Alle Tassen im Schrank? SV Hönnepel-Niedermörmter

Altersgenossen verbinden Kalkar vermutlich zunächst mit „Schneller Brüter“. Das wiederum wird Angehörigen jüngerer Generationen nichts sagen – es handelte sich um ein umstrittenes Kernkraftwerk (bzw. einen Brutreaktor, daher der Name), das in den 1970er und 1980er Jahren die Gemüter der Menschen nicht nur am Niederrhein erregte. 1991 wurde das Projekt eingestellt; der Brüter ging nie ans Netz.

Dass es das Brüter-Gelände am Rheinufer in Hönnepel später einmal im Fußball zu einer gewissen Aufmerksamkeit bringen sollte, war damals völlig unvorstellbar. Bestenfalls Kreisliga goutierte man über Jahrzehnte in Hönnepel, und nur ausgewiesene Fachleute wussten etwas mit dem SV Hönnepel-Niedermörmter, 1951 gebildet durch den Zusammenschluss von FC Niedermörmter und Viktoria Hönnepel, anzufangen.Auch nach dem Aufstieg in die Bezirksliga (2001) bzw. die Landesliga (2005) blieb der SV Hö-Nie, wie man sich nennt, eine Sache für Experten und Groundhopper.

Mit dem Durchmarsch von der Landes- in die Verbandsliga rückten die Schwarz-Gelben ab 2006 erstmals ins großräumigere Bewusstsein, und als sie 2012 nach einem spektakulären Elfmeterschießensieg über Rot-Weiß Oberhausen das Endspiel um den Niederrheinpokal erreichten, dort Gastgeber RWE an der Essener Hafenstraße nur knapp mit 2:3 nach Verlängerung unterlagen und nebenbei in die Oberliga Nordrhein aufstiegen, fragte sich plötzlich alle Welt: „Wer zum Teufel ist Hö-Nie“?

Die Klubführung nutzte die etwas ungewöhnlichen Ortsnamen, die Nichteinheimischen selten stolperfrei von den Lippen gehen (versucht es mal: SV Hönnepel-Niedermörmter), und schuf sich eine Aura vom trutzigen Dorfverein in der Großstadtliga. Im Logo findet sich inzwischen ein grimmig dreinschauender Bulle, und nicht nur auf der abgebildeten Tasse droht Hö-Nie mit „Der Acker bebt“. Sympathisch!
 
Foto: Altersgenossen verbinden Kalkar vermutlich zunächst mit „Schneller Brüter“. Das wiederum wird Angehörigen jüngerer Generationen nichts sagen – es handelte sich um ein umstrittenes Kernkraftwerk (bzw. einen Brutreaktor, daher der Name), das in den 1970er und 1980er Jahren die Gemüter der Menschen nicht nur am Niederrhein erregte. 1991 wurde das Projekt eingestellt; der Brüter ging nie ans Netz. 

Dass es das Brüter-Gelände am Rheinufer in Hönnepel später einmal im Fußball zu einer gewissen Aufmerksamkeit bringen sollte, war damals völlig unvorstellbar. Bestenfalls Kreisliga goutierte man über Jahrzehnte in Hönnepel, und nur ausgewiesene Fachleute wussten etwas mit dem SV Hönnepel-Niedermörmter, 1951 gebildet durch den Zusammenschluss von FC Niedermörmter und Viktoria Hönnepel, anzufangen.Auch nach dem Aufstieg in die Bezirksliga (2001) bzw. die Landesliga (2005) blieb der SV Hö-Nie, wie man sich nennt, eine Sache für Experten und Groundhopper.

Mit dem Durchmarsch von der Landes- in die Verbandsliga rückten die Schwarz-Gelben ab 2006 erstmals ins großräumigere Bewusstsein, und als sie 2012 nach einem spektakulären Elfmeterschießensieg über Rot-Weiß Oberhausen das Endspiel um den Niederrheinpokal erreichten, dort Gastgeber RWE an der Essener Hafenstraße nur knapp mit 2:3 nach Verlängerung unterlagen und nebenbei in die Oberliga Nordrhein aufstiegen, fragte sich plötzlich alle Welt: „Wer zum Teufel ist Hö-Nie“?

Die Klubführung nutzte die etwas ungewöhnlichen Ortsnamen, die Nichteinheimischen selten stolperfrei von den Lippen gehen (versucht es mal: SV Hönnepel-Niedermörmter), und schuf sich eine Aura vom trutzigen Dorfverein in der Großstadtliga. Im Logo findet sich inzwischen ein grimmig dreinschauender Bulle, und nicht nur auf der abgebildeten Tasse droht Hö-Nie mit „Der Acker bebt“. Sympathisch!

Alle Tassen im Schrank? AC Arles-Avignon


Etwa 40 Kilometer liegen zwischen den beiden südfranzösischen Städten Arles und Avignon. Arles ist als Eingangspforte zur Camargue und einstiger Wohnort von Vincent van Gogh bekannt und wird ähnlich gerne von Touristen besucht wie Avignon, die Stadt der Päpste. Im Fußball bildet man seit einigen Jahren eine eigentümliche Einheit, die es unter dem Namen AC Arles-Avignon immerhin zu einem Spieljahr in der höchsten Landesklasse geschafft hat.

Eigentlich gehört der Doppelstadtklub zu Arles. Dort wurde er 1913 als AC Arlésien gegründet. In den 1970er Jahren war man ein paar Mal in der zweiten Liga dabei, ehe es in den 1980ern bis hinunter in die 6. Liga ging. Nach der Millenniumswende dann der explosionsartige Aufstieg: 2006 Aufstieg von der CFA2 (5. Liga) in die CFA, dort Durchmarsch in die National und schließlich 2009 Rückkehr in die 2. Liga. Als Vater des Erfolges galt Trainer Michel Estevan, unter dem ACA 2009/10 als Aufsteiger in der 2. Liga der sensationelle Durchmarsch ins französische Oberhaus gelang. Mit André Ayew spielte damals u.a. der Sohn von Abédi Pelé für die Blau-Gelben. Zwar musste man nach nur zwölf Monaten wieder aus dem Oberhaus absteigen, hat sich seitdem aber in der zweithöchsten Spielklasse etabliert und auch in Sachen Publikumsgunst zugelegt.

Diesbezüglich war der Aufstieg in die 2. Liga 2009 nämlich ein tiefer Einschnitt in die Klubgeschichte, denn in Arles gab (und gibt) es kein profiligataugliches Stadion. Statt das Stade Fernand-Fournier entsprechend umzurüsten, kam man in Arles auf die Idee, es einfach im benachbarten Avignon zu versuchen, wo mit dem Parc des Sports ein Komplex bestand, der den Anforderungen etwas besser entsprach. So wurde aus dem AC Arles der AC Arles-Avignon, der seinen Sitz in Arles hat, seine Spiele aber in Avignon austrägt. In Deutschland wäre das vermutlich undenkbar.

Ich war 2009/10 erstmals mit den Guingampais im Parc des Sports und war seinerzeit erschrocken über das geringe Zuschauerinteresse und die triste Stimmung. Es war der drittletzte Spieltag, ACA hatte alle Hoffnungen auf den Durchmarsch in die Ligue 1 und auf den Rängen verloren sich kaum 3.000 Zuschauer. Letzte Saison war ich erneut mit Guingamp in Avignon, und diesmal sah es deutlich besser aus. Auf der Gegengerade schwenkte eine kleine Fanszene ihre Fahnen, das Stadion war mit knapp 5.000 Neugierigen etwas besser gefüllt und selbst ein gewisses „Flair“ war zu spüren. In einer Region, in der „OM“ einen übergroßen Schatten wirft, hat es ein Klub wie ACA natürlich schwer. Doch nach dem letzten Besuch bin ich guter Dinge, dass man sich einigermaßen wird etablieren können.
Foto: Etwa 40 Kilometer liegen zwischen den beiden südfranzösischen Städten Arles und Avignon. Arles ist als Eingangspforte zur Camargue und einstiger Wohnort von Vincent van Gogh bekannt und wird ähnlich gerne von Touristen besucht wie Avignon, die Stadt der Päpste. Im Fußball bildet man seit einigen Jahren eine eigentümliche Einheit, die es unter dem Namen AC Arles-Avignon immerhin zu einem Spieljahr in der höchsten Landesklasse geschafft hat.

Eigentlich gehört der Doppelstadtklub zu Arles. Dort wurde er 1913 als AC Arlésien gegründet. In den 1970er Jahren war man ein paar Mal in der zweiten Liga dabei, ehe es in den 1980ern bis hinunter in die 6. Liga ging. Nach der Millenniumswende dann der explosionsartige Aufstieg: 2006 Aufstieg von der CFA2 (5. Liga) in die CFA, dort Durchmarsch in die National und schließlich 2009 Rückkehr in die 2. Liga. Als Vater des Erfolges galt Trainer Michel Estevan, unter dem ACA 2009/10 als Aufsteiger in der 2. Liga der sensationelle Durchmarsch ins französische Oberhaus gelang. Mit André Ayew spielte damals u.a. der Sohn von Abédi Pelé für die Blau-Gelben. Zwar musste man nach nur zwölf Monaten wieder aus dem Oberhaus absteigen, hat sich seitdem aber in der zweithöchsten Spielklasse etabliert und auch in Sachen Publikumsgunst zugelegt.

Diesbezüglich war der Aufstieg in die 2. Liga 2009 nämlich ein tiefer Einschnitt in die Klubgeschichte, denn in Arles gab (und gibt) es kein profiligataugliches Stadion. Statt das Stade Fernand-Fournier entsprechend umzurüsten, kam man in Arles auf die Idee, es einfach im benachbarten Avignon zu versuchen, wo mit dem Parc des Sports ein Komplex bestand, der den Anforderungen etwas besser entsprach. So wurde aus dem AC Arles der AC Arles-Avignon, der seinen Sitz in Arles hat, seine Spiele aber in Avignon austrägt. In Deutschland wäre das vermutlich undenkbar.

Ich war 2009/10 erstmals mit den Guingampais im Parc des Sports und war seinerzeit erschrocken über das geringe Zuschauerinteresse und die triste Stimmung. Es war der drittletzte Spieltag, ACA hatte alle Hoffnungen auf den Durchmarsch in die Ligue 1 und auf den Rängen verloren sich kaum 3.000 Zuschauer. Letzte Saison war ich erneut mit Guingamp in Avignon, und diesmal sah es deutlich besser aus. Auf der Gegengerade schwenkte eine kleine Fanszene ihre Fahnen, das Stadion war mit knapp 5.000 Neugierigen etwas besser gefüllt und selbst ein gewisses „Flair“ war zu spüren. In einer Region, in der „OM“ einen übergroßen Schatten wirft, hat es ein Klub wie ACA natürlich schwer. Doch nach dem letzten Besuch bin ich guter Dinge, dass man sich einigermaßen wird etablieren können.

Insolvenzticker: Göttingen 05

Dies ist ein Beitrag, den ich immer gefürchtet habe. Mein Verein Göttingen 05 taucht im Insolvenzticker auf.

Grund ist eine veritable Führungskrise, nachdem vier der fünf Vorstandsmitglieder binnen kurzem zurückgetreten sind. Darunter der Vorsitzende Michael Wucherpfennig, der gleichzeitig als wichtigster Geldgeber des Vereins fungiert. Für den 13. November ist eine außerordentliche Jahreshauptversammlung anberaumt, auf der lediglich ein Tagesordnungspunkt beraten werrden soll: sportliche und wirtschaftliche Situation.

Der 1. SC Göttingen 05 (fälschlicherweise als I. SC 05 im Vereinsregister eingetragen) entstand erst zum 1. Juli 2013, als die Oberligamannschaft des RSV Göttingen 05 und der Jugendförderverein (JFV) Göttingen zusammengingen. Man übernahm den Oberligastartplatz des RSV 05 und strebte unter dem Slogan "One team, one dream" den Aufstieg in die Regionalliga im Jahr 2015 an. Schon früh kam es zu Dissonanzen im Vorstand vor allem zwischen dem Vorsitzenden und Hauptinitiator der Wiedergründung des 1. SC 05, Michael Wucherpfennig, sowie dem Trainer der Oberligamannschaft und Sportlichen Leiter, Hansi Ehrlich. Ehrlich war zuvor Initiator und Kopf des erfolgreichen JFV Göttingen gewesen.

Wie die Lokalpresse berichtete, verschärften sich die Dissonanzen zwischen den beiden bis zur nun eingetretenen Explosion. Zudem stellte sich heraus, dass der gewählte Vorstand nicht beim Amtsgericht gemeldet wurde, so dass sich lt. Amtsgericht eine Person im Vorstand befindet, die dem Vorstand tatsächlich gar nicht angehört. Angesichts dessen, dass nur ein Mitglied des gewählten Vorstand im Amt befindet eine schwierige Situation.

Die Zukunft des Vereins ist derzeit unsicher. Zum Ligaspiel am Sonntag um 14 Uhr im Jahnstadion gegen den 1. FC Wunstorf wird die Mannschaft nach Aussage von Trainer Ehrlich in jedem Fall antreten. Ob der Oberliga Niedersachsen nach Emden und Nordhorn (2011/12) und Holthausen-Biene sowie Heeslingen (2012/13) erneut ein Pleiteklub in der laufenden Saison droht, bleibt abzuwarten.

Weitere Infos auf Göttinger Tageblatt: http://www.goettinger-tageblatt.de/Nachrichten/Sport/Sport-vor-Ort/1.-SC-05-Goettingen-nach-Ruecktritten-mit-finanziellen-Problemen

Der I. SC Göttingen 05 sieht sich in der Tradition des 2003 insolvent gegangenen 1. SC 05. An dessen Stelle war seinerzeit der neugegründete 1. FC Göttingen 05 getreten, der 2005 mit dem langjährigen 1.-SC-05-Jugendpartner RSV Geismar zum RSV Göttingen 05 fusionierte. Der RSV Göttingen 05 existiert auch nach der Auslagerung der Oberligamannschaft als I. SC 05 weiter und spielt gegenwärtig mit seiner ersten Mannschaft in der 1. Kreisklasse.

Dienstag, 22. Oktober 2013

Alle Tassen im Schrank? Accrington Stanley

Das abgebildete Gefäß befindet sich seit rund einem Jahr in meinem Besitz und darf sich heute in der "Tassen-Like-Liga powered by Hardy Grüne" bewähren, weil sich der Kaufanlass am heutigen Abend wiederholt: Accrington Stanley empfängt im heimischen Crown Ground die Bristol Rovers

Ich erinnere mich gerne an herzliche Menschen in Fanshop wie Klubkneipe, wo wir als Gästefans an einem bitterkalten Samstagnachmittag wärmstens empfangen und begrüßt wurden. Wie so häufig, sorgte ich in jenem Moment für Erstaunen, in dem ich erstmals den Mund aufmachte, denn mein Akzent verrät mich leider sofort als Nicht-Brite. Und natürlich erntete ich die üblichen eigentümlichen Blicke, als ich meine Geschichte erzählte, warum ich Gashead geworden bin und dass ich vornehmlich in England war, um eines der schlechtesten Teams der vierthöchsten Spielklasse (die Rovers waren damals 20.) zu supporten.

Letztes Jahr war es ein Abstiegsduell, und dieses Jahr ist es wieder Abstiegsduell. Das erscheint mir unfassbar, denn das Potenzial der Bristol Rovers ist unendlich viel größer als im Abstiegskampf der vierten Liga zu stecken. Zuschauer, Auswärtsfans, Ruf, Bedeutung im Südwesten - alles ist da, um mindestens dritte Liga zu spielen. Und doch dümpelt man in Liga 4 und muss sich damit trösten, dass es dem Lokalrivalen "South of the River" kaum besser geht und er nach seinem Abstieg aus dem Championship auch in League One schon wieder Schlusslicht ist. Nüchtern betrachtet ist Bristols Fußball gegenwärtig wohl ziemlich erbärmlich... 

Accrington steckt angesichts seiner benachbarten Konkurrenz aus Blackburn in einer deutlich schwierigeren Situation, wenngleich man ebenfalls einen traditionsreichen und zudem ungewöhnlichen Namen trägt. Das "Stanley" verwies ursprünglich übrigens auf den Pub "Stanley Arms", in dem sich die Klubgründer 1891 trafen und Stanley Villa gründeten, aus dem 1893 Accrington Stanley wurde. Nicht zu verwechseln mit Lokalrivale Accrington FC, der 1888 Gründungsmitglied der Football League war!

Accrington Stanley wurde erst 1921 in die Football League aufgenommen und verbrachte anschließend 40 Jahre in der 3. Liga, ehe man 1960 in die Viertklassigkeit musste und 1962 insolvenzbedingt von der Bildfläche verschwand. Der heutige Accrington Stanley FC wurde im Oktober 1968 gegründet. Zwei Jahre später öffnete der Crown Ground seine Pforten, dem man sein Alter auch durchaus ansieht. 2003 in die Nationawide aufgestiegen erreichte Stanley 2006 die Football League, in der man seitdem zumeist ums Überleben kämpft.

Accrington Stanley ist einer der wenigen englischen Klubs, der eine "Ultra" Gruppe hinter sich weiß. Zumindest theoretisch, denn bei meinem Besuch vor einem Jahr hingen zwar eine Menge Transparente im Crown Ground, ansonsten aber herrschte eher maue Stimmung, war von Ultrakultur nichts zu hören. Damals verloren meine Rovers ein Spiel, was sie nie hätten verlieren dürfen. Heute nun hoffe ich, dass es Grund zum Jubeln gibt - zumal Accrington Stanley bislang noch sieglos ist. UTG!




Montag, 21. Oktober 2013

Fankultur unterhalb der Profiligen


Anfang des Jahres erschien im Verlag Die Werkstatt der Sammelband „Fußball Deine Fans. Ein Jahrhundert deutsche Fankultur“. 

Darin wird über verschiedene Aspekte der Fankultur in Deutschland referiert. Unter den 25 Aufsätzen ist auch einer aus meiner Feder, der unter der Überschrift „Vom Zauber des Fandaseins im Amateurfußball“ über die Geschichte und Geschicke der Fanszene von Göttingen 05 berichtet.

Und hier ist er nun, der komplette Aufsatz aus dem Band. http://www.werkstatt-verlag.de/?q=node/538



Vom Zauber des Fandaseins im Amateurfußball
Fankultur unterhalb der Profiligen am Beispiel Göttingen 05

Fanliebe kennt keine Liga. Auch in unteren Spielklassen gibt es Fankultur, die mehr oder weniger an Vorbildern der Bundesliga orientiert ist. Alles läuft etwas kleiner und beschaulicher ab, doch in Intensität und Engagement unterscheiden sich die Fans in keiner Weise von den Anhängern großer Klubs.

Und trotzdem ist das Fandasein im unterklassigen Fußball elementar anders. Weder sind die Strukturen zu vergleichen noch die Akzeptanz im eigenen Ort bzw. bei den Gegnern, die häufig keine eigenen Fanszenen aufweisen. Dazu kommen kürzere Anfahrtswege zu Auswärtsspielen sowie eine naturgemäß eher überschaubare Personenzahl, die nichtsdestotrotz vor allem in kleineren Orten für erhebliche Verwirrung sorgen kann. Demgegenüber stehen Gestaltungs- und Einflussmöglichkeiten, die in der Bundesliga undenkbar wären und dem Fandasein im unterklassigen Fußball durchaus seinen Reiz geben.

Fanmagnet im südlichen Niedersachsen
Nehmen wir als Beispiel Göttingen 05. Einer dieser zahlreichen Traditionsvereine, die im letzten Jahrzehnt den gewaltigen Veränderungen im Fußball zum Opfer gefallen sind und der im freien Fall durch das Ligasystem stürzte. 2001 noch auf dem Sprung in die dritte Liga, fand man sich 2005 insolvenzbedingt in der achten Liga wieder. Göttingen 05 ist ein exzellentes Beispiel für Fankultur bei einem Verein, der niemals zu den „Großen“ zählte, um den es aber immer eine engagierte Anhängerschaft gab.

So etwas wie Fanwesen existiert in der Universitätsstadt Göttingen seit den 1920er Jahren. Damals reisten die Anhänger der Schwarz-Gelben mit angemieteten Stadtbussen zu den Auswärtsspielen nach Kassel, Marburg oder Osterode. Nach dem Zweiten Weltkrieg spielte 05 für zehn Jahre in der Oberliga Nord und stieg zum Fanmagneten im südlichen Niedersachsen auf. Sonderzüge aus dem gesamten Umland fuhren zu den Spielen im alten Maschpark hinter dem Bahnhof, und der Klub kam auf nie wieder erlebte Zuschauerzahlen von weit über 20.000 pro Spiel. Das Engagement der Zuschauer ging im Übrigen durchaus über verbale Unterstützung hinaus und umfasste auch körperliche Auseinandersetzungen. Zweimal wurden seinerzeit nach Zuschauerausschreitungen Platzsperren gegen Göttingen 05 verhängt.

Als der Verein Mitte der 1960er Jahre ans Tor zur Bundesliga klopfte, bildete sich erstmals ein Fanblock. Neben dem hölzernen Ansageturm auf der Hauptgeraden im städtischen Jahnstadion, wo 05 nunmehr spielte, fanden Fahnen- und Schalträger zusammen, gab es koordinierte Anfeuerungen. Erste Transparente („Doppelhalter“) tauchten auf, wobei die 05-Fans gerne den Status als Universitätsstadt aufgriffen und mit ironischen Sprüchen für sich und ihren Verein warben. Vor der Partie gegen Hertha BSC Berlin in der Bundesliga-Aufstiegsrunde 1968 hieß es beispielsweise auf einem Transparent: „Heute schießen wir Hertha ab – nächstes Jahr Europa-Cup“. Einzig durch die geringere Gesamtzahl der Anhänger unterschied sich die Göttinger Fanszene von der benachbarter Erstligastädte wie Hannover oder Braunschweig.

Daran änderte sich auch in den 1970er Jahren zunächst nichts. Viele Fans rückten mit gewaltigen Fahnen an, im Fanblock standen zunehmend auch der Gewalt nicht abgeneigte sogenannte Rocker, und die meisten Anhänger lebten ihr Fandasein optisch über die berühmte „Kutte“ aus. Alles wie im „großen“ Fußball. Hätte ihnen seinerzeit jemand die Frage nach dem Unterschied zu Fans eines Bundesligisten gestellt, die 05-Anhänger hätten vermutlich geantwortet: „Keine, die sind nur mehr.“

Fans in der Provinz
Der Abstieg aus der 2. Bundesliga 1977 veränderte die Lebenswelt der Göttinger Fans schlagartig. Waren sie in der 2. Bundesliga regelmäßig auf deutlich größere gegnerische Fangruppen gestoßen, standen sie in der Oberliga Nord plötzlich quasi allein auf weiter Flur. Denn mit dem Abstieg war Göttingen 05 in der Fanprovinz angekommen. Das führte zunächst zu diversen Gewaltexzessen, weil sich die Ordnungskräfte namentlich bei Auswärtsspielen völlig überfordert mit den „zweitligaerfahrenen“ und erlebnisorientierten 05-Fans zeigten. Diese lebten zwar ihre ungewohnte numerische und physische Überlegenheit „genüsslich“ aus, mussten aber zugleich einen dramatischen Rückgang der Zahl aktiver Anhänger aufgrund des insgesamt deutlich unspektakuläreren Umfeldes registrieren. Übrig blieben schließlich nur die, denen die Unterstützung der eigenen Mannschaft wichtiger war als prolliges Verhalten und die einen Gewalt ablehnenden Support pflegten. Mit anderen Worten: nicht allzu viele. Erstmals tat sich eine unübersehbare Kluft zwischen den Fanszenen der Bundesligavereine und der in der zur Fußballprovinz degradierten Unistadt Göttingen auf.

Die ernüchternde Realität des Fandaseins in einer Spielklasse, in der zumeist weder viele Zuschauer noch sichtbare gegnerische Fans anwesend sind, war mit Worten kaum zu beschreiben. Gefühlt erinnerte es an ein Theaterstück ohne Publikum. Abgetrennte Gästeblöcke gab es nicht. Stattdessen schlugen die Göttinger Fans mit Pauken, Trompeten und Fahnen an einem besseren Sportplatz auf, mussten sie sich Nölereien von hurtig zu Ordnern erklärten pubertierenden Dorfjugendlichen oder alkoholgeschwängerten Vereinslegenden anhören und durften schließlich auch noch unter allerlei Gespött heimreisen, wenn ihre stets als „Ex-Zweitligist“ angekündigte Mannschaft das Spiel verloren hatte. Zur Tristesse kam also die Demütigung, und damit einher ging eine tiefe Depression der Göttinger Fanszene.

Auf der anderen Seite entwickelte sich eine Nähe zur eigenen Mannschaft, die im „großen“ Fußball unvorstellbar war. Mannschaft und Fans ließen die Saison bei einem Grillabend gemeinsam ausklingen, die Hierarchie zwischen Spielern und Anhängern war erstaunlich flach, und mitunter wurden sogar weit über den Fußball hinausgehende Freundschaften geschlossen. Während sich im Profifußball eine zunehmende Distanz zwischen Zuschauern und Spielern auftat, bot der hochklassige Amateurfußball eben weiterhin die Möglichkeit für ein echtes Bündnis zwischen Aktiven und Passiven. Zeitweise fuhren die Göttinger Fans sogar im Mannschaftsbus zu den Auswärtsspielen und wurden von Göttingen 05 mit kostenlosen Gästekarten versorgt.
Die Sehnsucht nach einer „großen“ Fanszene bzw. -kultur indes blieb unerfüllt. Zwar wurden die Fanszenen der Bundesligisten aufmerksam beobachtet und ihr Gebaren – bei Bedarf und Gefallen – kopiert. Mitte der 1980er Jahre tauchten erstmals Zaunfahnen im Göttinger Jahnstadion auf, wurden Schalparaden inszeniert, Doppelhalter angefertigt, populäre Anfeuerungsrufe aus der Bundesliga übernommen. Doch allein zahlenmäßig war der Fanblock im Jahnstadion nicht repräsentativ, konnte man nur noch bedingt von einer örtlichen Fanszene sprechen.

Zudem hatten sich viele vor allem jüngere Fans einen Bundesligisten als zweiten Lieblingsklub ausgesucht, dem sie – zumindest via „Sportschau“ – folgten. Das unterstrich die gefühlten Abgründe zum „großen“ Fußball noch und verdeutlichte zugleich, dass die Göttinger Anhänger den Status des „Provinzklub“ im Amateur- bzw. Halbamateurfußball akzeptierten. Eine Entwicklung mit Konfliktpotenzial, denn fortan gab es selbst Streit um die Durchsage der Bundesligaergebnisse bei Heimspielen, die eingefleischte 05-Anhänger als störend empfanden. Andere Fans hingegen gingen dazu über, am Samstag zum Spiel ihres Bundesligisten zu fahren und das Fandasein in der Masse auszuleben, ehe sie dann am Sonntag leicht verkatert gemütlich Amateurfußball bei 05 guckten. Ein passendes Umfeld fand dieses entspannte „Sonntagnachmittag-Feeling“ bei Auswärtsspielen in Örtchen wie Herzlake oder Hoisdorf, wo das Catering neben Frischgezapftem und Bratwurst auch frischen Kaffee und leckeren Kuchen umfasste – Gemütlichkeit pur.

Von einer lebendigen Fankultur war man in Göttingen seinerzeit weit entfernt. Abgesehen von ein paar Anfeuerungsrufen mangelte es der 05-Fanszene an jeglicher Kreativität. Hinzu kamen die Folgen von über zehn Jahren Schattendasein in einer Spielklasse mit insgesamt überschaubareren Fanaktivitäten. Bei Auswärtsspielen waren selten mehr als eine Handvoll Fans dabei, und die Kluft zwischen dem „großen“ und dem „kleinen“ Fußball war zusehends größer geworden. Entsprechend sprachlos reagierte die 05-Fangemeinde bei den wenigen Begegnungen mit dem „großen“ Fußball – wie beispielsweise in der Zweitligaaufstiegsrunde 1989, als ein aus Duisburg angereister Mob aus MSV-Fans Angst und Schrecken im Göttinger Jahnstadion verbreitete.

Gründung eines Fanprojekts und Spaltung der Fanszene
Eine sportliche Erfolgsphase Ende der 1980er Jahre mobilisierte die Göttinger Fußballfans erneut, und erstmals seit vielen Jahren kamen wieder mehrere Tausend Zuschauer zu den Spielen ins Jahnstadion. Als nicht zuletzt deshalb Schergen einer regionalen Neonazigruppe den 05-Fanblock zu infiltrieren versuchten, regte sich dort Widerstand. In der Konsequenz kam es zur Gründung eines Streetwork- bzw. Fußball-Fanprojektes durch als Sozialarbeiter tätige 05-Anhänger, mit dem die Fanaktivitäten in Göttingen erstmals seit den 1970er Jahren wieder eine breite Basis erhielten – u. a. über organisierte Auswärtsfahrten und einen Fanraum.

Die Aufbrüche und Eruptionen in der Fankultur der 1990er Jahre waren – mit etwas Verzögerung – auch in Südniedersachsen spürbar. Auch in Göttingen wurde die Ultrakultur aufgegriffen, ehe irgendjemand den Begriff verwendete, geschweige denn verstand. Wie bei vielen Bundesligisten führte das zur Spaltung der Fanszene, was angesichts der überschaubaren Dimension in Göttingen insofern problematisch war, als zwei „konkurrierende“ Fanblöcke in einem mit wohlwollend tausend Zuschauern gefüllten 24.000-Plätze-Stadion mehr als nur einen Hauch von Lächerlichkeit verbreiteten.

Dennoch legte die Spaltung den Keim zu einem allmählich wiedererwachenden Fanleben in Göttingen. In der Folge entstand mit dem "Schlafenden Riesen" ein auch außerhalb Göttingens wahrgenommenes Fanzine, und mit der Organisation eines „Fan-United-Days“ gegen die wirtschaftliche Negativentwicklung im höherklassigen Amateurfußball erwarben sich die 05-Anhänger 1999 bundesweit Respekt. Außerdem unterstützten die Fans ihren Verein bei der Integration ausländischer Spieler. Es wurden gemeinsame Disco- und Kneipenbesuche organisiert, und die Spieler erfuhren Unterstützung beim Erwerb der deutschen Sprache. Zudem wurde die Herstellung und Vermarktung von Fanartikeln komplett in Fanhände gegeben. Klammheimlich wurde die Fanunterstützung dadurch zu einem Bestandteil der Vereinspolitik, in die sich ausgewählte Fansprecher konsequenterweise auch direkt einmischten. Ein Beleg dafür, dass die Wege im Amateurfußball für Fans einerseits zwar deutlich kürzer sind, sich engagierte Anhänger aber andererseits auch erheblich schneller in einer konkreten Verantwortung wiederfinden können. Denn die anonyme Masse, in der einzelne Fans abtauchen können, fehlt im Amateurfußball.
Direkte und verantwortungsvolle Mitarbeit der Fans

Der finanzielle wie sportliche Absturz des Klubs nach der Millenniumswende erwies sich als schmerzhafter, aber reinigender und zudem belebender Prozess. Nach der Auflösung des 1. SC Göttingen 05 entstand 2003 der gemeinsam von der Nachwuchsabteilung und den Fans geführte 1. FC 05, der wenig später mit dem Vorstadtklub RSV Geismar zum RSV Göttingen 05 fusionierte und in der Achtklassigkeit antreten musste. Neben lokalen Aspekten wie der Tatsache, dass die 05-Fans an der Benzstraße im Stadtteil Geismar zum allerersten Mal eine „Heimat“ fanden – zuvor hatten die Spiele in städtischen Anlagen stattgefunden und ein 05-Klubheim gab es auch nicht – waren es die Herausforderungen des Fußballs auf Bezirksebene, was die Fanszene in Göttingen zusammenschweißte. Weil beim Neustart in der Bezirksklasse Braunschweig-Süd jeder sein Scherflein zum Gelingen beizutragen hatte – ein langjähriger Anhänger fungierte sogar als Ersatztorhüter –, entstand ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl.

Auf dem Sportplatz an der Benzstraße wurden mit eigenen Händen Stehtraversen errichtet, Fans übernahmen die Erstellung der Stadionzeitung, und die Bildung einer „Abteilung unterstützender Mitglieder“ (AUM) – nach dem Vorbild des FC St. Pauli – bescherte den Anhängern einen Platz in der Schaltzentrale ihres Vereins. Damit bot sich eine Chance, die Fans eines Bundesligisten wohl niemals bekommen werden: direkte und verantwortungsvolle Mitarbeit am Wohl und Wehe des eigenen Klubs.

Der Neustart war allerdings nicht mit ähnlichen Schicksalen wie beispielsweise Hessen Kassel oder Austria Salzburg zu vergleichen. Während dort mehrere Tausend Fans die Wiedergeburt begleiteten, war es in Göttingen nur eine Handvoll engagierter Zeitgenossen. Deren Zahl wuchs jedoch rasch an, weil die Protagonisten der Fanszene ihre Aktivitäten an die gesellschaftlichen Brennpunkte der Stadt trugen – in einer eher unspektakulären Mittelstadt wie Göttingen ein höchst erfolgreiches Rezept. Während Göttingen als Basketballhochburg bundesweit für Aufsehen sorgte, etablierten die 05-Fans den Ruf „05 ist die Fußballstadt“ und schafften es damit, den Verein selbst als Achtligisten wieder attraktiv zu machen.

Auswärtsspiele in Harste, Amelsen und Hattorf
Kultstatus erreichten Auswärtsspiele in Dörfern wie Harste, Amelsen oder Hattorf, die atmosphärisch an frühere Vorbereitungsspiele vor einer Drittligasaison erinnerten – die Gastgeber waren voller Stolz, weil die trotz des sportlichen Absturzes noch immer renommierten 05er zu Gast waren, und es herrschte Volksfeststimmung. Höhepunkt war ein Siebtliga-Spitzenspiel in Landolfshausen, zu dem mehrere Hundert 05-Anhänger ihre Mannschaft begleiteten und, ausgerüstet mit allerlei Fahnen, Trommeln und Schals, zum örtlichen Sportplatz zogen. Der gastgebende TSV, Zuschauerzahlen von bestenfalls 50 gewohnt, zeigte sich ebenso wie sein Sportplatz komplett überfordert. Auf der ebenerdigen „Gegengerade“ war ein „Gästeblock“ mit Flatterband zum barrierelosen Spielfeld abgegrenzt worden, in dem sich die 05-Fans auf einer von tagelangem Regen durchgeweichten Wiese aufzuhalten hatten. Nebenan mampfte eine Herde Kühe gemütlich an Grashalmen, und davor wachten zwei Ordner, die einem Fanverhalten gegenüber standen, das sie sonst nur aus dem Fernsehen kannten.

Bald hatte sich in der Stadt herumgesprochen, dass bei 05 die lokale Fanszene lebt. Binnen weniger Jahre wuchs der Fanblock auf selbst zu Drittligazeiten selten erreichte Dimensionen an, wurden die Auswärtsspiele in der (inzwischen erreichten) sechstklassigen Landesliga zu Kultspielen. Erlebnisse mit gemischten Gefühlen. Denn so sehr die Göttinger Fanschar auf des Gegners Plätzen als zahlende Gäste geschätzt und begrüßt wurde, so groß waren die Akzeptanzprobleme der jeweiligen Gastgeber mit der plötzlich im eigenen Stadion ausgelebten Fankultur. Kein Wunder, denn alles, was man aus dem Fernsehen kannte und dort bestaunte, fand plötzlich im eigenen Vorgarten statt: riesige Schwenkfahnen, grölende Menschenmassen, Bengalos, Rauchpulver. Nervöse Ordner waren für die Göttinger Fans ebenso Alltag wie Polizeikräfte, die über keinerlei Erfahrungen mit Fangruppen verfügten. Ein hohes Maß an Selbstorganisation und Selbstkontrolle durch die Fanszene sorgte dafür, dass es auf den zaun- und mitunter sogar bandenlosen – also quasi frei zugänglichen – Sportplätzen dennoch nur selten zu Problemen kam.

Mit dem Aufstieg in die Oberliga Niedersachsen 2011 trafen die 05-Anhänger erstmals seit dem Konkurs zumindest sporadisch wieder auf gegnerische Fangruppen. Eine willkommene Abwechslung nach Jahren der Abstinenz. Denn zur eigenen Fankultur gehört nun mal die Fankultur des Gegners. Höhepunkte waren die Spiele gegen den VfB Oldenburg, mit dessen Fans die Göttinger bereits seit den 1990er Jahren eine von regelmäßigen gegenseitigen Besuchen geprägte Freundschaft pflegten. Im gemeinsamen Marsch ging es von der Innenstadt zum Stadion, beäugt von vielen zunächst kritischen, alsbald aber begeisterten Passanten und begleitet von Polizeifahrzeugen mit Blaulicht vorneweg – alles wie im „großen“ Fußball.

Bemerkenswerte Fankultur
Für Fünftligaverhältnisse verfügt Göttingen über eine bemerkenswerte Fankultur. Dem eigenen Selbstverständnis entsprechend werden auch durchaus selbstkritische bzw. selbstironische Lieder gesungen. In Erinnerung an alte – erfolgreiche – Tage heißt es beispielsweise: „RSV / wir sind da / jedes Spiel / ist doch klar / fünfte Liga / tut schon weh / scheißegal / es wird schon gehen“, und beim Blick in die Zukunft heißt es ironisch: „Eines Tages wird’s geschehen / und wir werden / Göttingen 05 / in Europa spielen sehen“. Daraus spricht, dass sich die Fans mit ihrem Schicksal als Anhänger eines „kleinen“ Klubs arrangiert haben. Mehr noch, denn angesichts der Entwicklung des „modernen Fußballs“ als Bestandteil der Eventkultur wurde das Lokalkolorit zunehmend als positives Attribut gewertet. So trägt die Göttinger Ultragruppierung „Rasensportguerilla“ (RSG) den Slogan „Support your local football club“ in ihrem Logo.

Dieser Slogan fungierte insgesamt als starke Antriebsfeder der lokalen Fanszene, was sich auch in dem Gesang „Göttingen meine Stadt / 05 mein Verein / so soll es immer sein“ ausdrückt. Die Nähe zu Mannschaft und Verein wird dabei von den aktiven Mitgliedern der Fanbewegung ebenso hervorgehoben wie die Möglichkeit, aktiv an der Gestaltung der lokalen Fankultur mitzuwirken. Neben Lokalkolorit und kurzen Wegen ist es aber auch die überschaubare und damit greifbare Größe des Fanblocks, die viele Neugierige anlockt. Was in der Bundesliga groß und mitunter einschüchternd wirkt, ist in Göttingen auf ein übersichtliches Maß reduziert. Diese Überschaubarkeit bringt es zudem mit sich, dass langjährige Fans und interessierte Neulinge rasch zueinanderfinden. Im Göttinger Fanblock singen Fan-Urgesteine, die bereits seit den 1970er Jahren dabei sind, gemeinsam mit Anhängern, die erst seit wenigen Jahren zu 05 gehen, werden Fanbelange beim wöchentlichen Fan-Stammtisch besprochen, fungiert ein internes Forum als gemeinsame Kommunikationsplattform. Spontanität, Kreativität und Gruppendynamik können sich so erstaunlich schnell entwickeln und ausbreiten.

Auf der anderen Seite fehlt dem „kleinen“ Fußball natürlich die Aura des großen. Wo in der Bundesliga Zehntausende von Fans in die Stadien kommen und für eine verdichtete Atmosphäre sorgen, sind es im Amateurfußball bestenfalls einige Hundert, steht man als Fanblock häufig allein in der Kurve. Neben den nur rudimentären Sportplätzen statt ordentlicher Stadien und den deutlich kürzeren Reisestrecken zu Auswärtsspielen macht die begrenzte Zahl der aktiven Fans eben den größten Unterschied aus. „Ich hab ’nen Kumpel in Frankfurt und wenn der erzählt, dass die mit 7.000 Leuten auswärts fahren, also, da bin ich schon ganz schön neidisch. Das würde ich auch gerne mal erleben“, erzählt ein Mitglied der RSG. Derselbe Fan spricht im Zusammenhang mit den beiden Profiligen übrigens vielsagend vom „richtigen Fußball“. Die zahlenmäßigen Unterschiede sorgen auch für einen gewissen Spott, dem sich die 05-Anhänger durch Fans von Bundesligisten ausgesetzt sehen. Dass sie mitunter nicht ernst genommen werden, sehen die meisten 05er jedoch gelassen: „Hier haben wir viel mehr Möglichkeiten der Einflussnahme und der Gestaltung als bei einem Bundesligisten“, erzählt ein Mitglied der „Rasensportguerilla“, „und ich bin lieber Teil einer kleineren Gruppe, an der ich mich selber beteiligen kann, als in der Masse unterzugehen.“
Heruntergebrochen auf die Amateurebene ragt Göttingen 05 mit seinen vielfältigen Fanaktivitäten wiederum weit heraus. Das hat sich für den Verein RSV Göttingen 05 als Zünglein an der Waage bei der Verpflichtung von Spielern erwiesen. Die Aussicht, vor einem engagierten Publikum zu spielen, sorgte mehr als einmal für den Ausschlag zugunsten von 05, obwohl andere Klubs mit höheren Prämien lockten. „Nur hier kann ich vor richtigen Fans spielen“, begründete ein Spieler seine Entscheidung für 05.

Das alles lässt eine geradezu familiäre Aura entstehen. Nicht wenige 05-Fans sprechen sogar konkret von einer „05-Family“, denn „die Wege zu den Spielern und dem Verein sind doch total kurz hier. Das verbindet und macht unglaublich Spaß“. Damit einher geht allerdings eine erhebliche Verantwortung. Fans bauen vor den Heimspielen die Werbebanden im Jahnstadion auf, sie gestalten das Stadionprogramm, und sie kümmern sich um das Merchandising. Zudem organisieren sie die Fahrten zu Auswärtsspielen in Eigenregie. Wann immer es zahlenmäßig möglich ist, werden dabei Busse eingesetzt, ansonsten geht es per Bahn auf die Reise, oder es werden Autokarawanen organisiert. „Wir haben eine feste Gruppe von Leuten, die zu jedem Spiel fährt. Bei Spitzenspielen sind es aber deutlich mehr. So haben wir im November 2012 zum Spiel bei der U23 von Eintracht Braunschweig sogar zwei Busse eingesetzt, hatten knapp 200 Fans dabei“, erzählt der für die Organisation verantwortliche „Reiseleiter“.

Von Seiten der Sicherheitskräfte und des Verbandes werden die 05-Anhänger aufmerksam beobachtet. Ihre vielfältigen Aktivitäten in einer Spielklasse, in der sich in der Regel nur Zuschauer und keine Fans einfinden, lösen bisweilen Unbehagen aus und lassen die 05-Auftritte regelmäßig zu „Sicherheitsspielen“ werden. Die erwähnte Partie in Braunschweig beispielsweise war extra auf einen Freitagabend verlegt worden, damit sie parallel zum Auswärtsspiel der Braunschweiger Zweitligamannschaft in Aue stattfinden konnte. Zudem wurde sie vom Nebenplatz ins Hauptstadion verlegt, wurden die beiden Busse mit Polizeibegleitung zum Stadion geleitet, sahen sich die Göttinger Anhänger Sicherheitsmaßnahmen ausgesetzt, die man sonst von Zweitligaspielen gewohnt ist.
Manchmal fühlt sich das Fandasein in unteren Klassen eben doch so an wie das im „großen“ Fußball. (Hardy Grüne)